Na?
Weihnachtsstress?
Ein Thema, dass mir bei Bauchtanzshows immer wieder begegnet: Stress. Genauer: dieser Höher-Schneller-Weiter-Turbo-Bauchtanz-Stil der sich im letzten Jahrzehnt immer weiter in meiner Umgebung verbreitet hat. Die Kakophonie von „schau her was ich kann! Guck mal hier! schau wie toll ich tanze!“ eingebettet in ein Bombardement von Posen, Akzenten, Drehungen, Haarewerfen, Busenschmeißen plus gewitternde Actionmusik oder hyperdramatischer Herzschmerz, der selbst schnulzigste Hollywood-Märchen blass erscheinen lässt.
Bei den ersten Shows, die mehrere solcher Auftritte hatten, war ich als Zuschauerin begeistert, und ging mit wundgeklatschten Händen und einsetzendem Muskelkater vom auf dem Stuhl mitfeiern nach Hause. Mittlerweile kommt es bei shows mit vielen solcher Auftritte vor, dass ich bewusst meinen Blick abwende oder meinen eigenen philosophischen Gedanken über den Tanz und unsere Gesellschaft nachhänge.
Denn: es ist mir zu viel.
Das Wirbeln von 500 Tricks pro Minute verschilzt zu einem Actionbrei, in dem ich keine einzelnen Momente mehr würdigen kann und spätestens nach dem zweiten solcher Tänze nach einander wird es mir zu viel.
Warum? Zwei Antworten konnte ich bisher entdecken. Zum einen ist es der Anteil solcher Auftritte pro Show plus die sich aufbauende Erinnerung und aufstauende Frustration, je häufiger ich soetwas erlebe. Zum anderen bin ich dank 45-50-Stunden-Wochen ein Mensch mit recht hohem Stresslevel geworden – auf das Stichwort Hypersensitivität bei Stress werde ich im nächsten FFF eingehen – spannendes Thema!
Die Kunst der Pause
Im November war ich wieder in Brüssel bei einer wunderbaren Tanzshow mit sehr abwechslungsreichen Programm mit einigen ungemein kreativen, frischen, charismatischen Auftritten. Dabei auch ein paar der Turbo-Bauchtanz-Performances, auf die das nicht orientalisch eingewöhnte Publikum mit abschließend kräftigem Applaus reagierte. (Zu Beobachten, wann und wie das Publikum Beifall spendete, war schon interessant an sich!).
Mittendrin dann ein Auftritt von Khalida.
Selbe Bewegungen, ganz, ganz anderer Effekt.
Für mich: ein befreites Aufatmen, entspannen und endlich Tanz genießen.
Wir haben uns dann auf der Rückfahrt noch eine Weile unterhalten und sie schrieb später diesen Blogbeitrag.
Just as the silence between notes is where the music is truly found, it‘s in the pauses between movements that a dance comes to life. […] The most breathtaking moments, the ones that blew me away, were the ones where power contrasted with stillness, where fire and air came together to make each other stronger
Dazu fällt mir wieder ein, was ich in Tsakalidis‘ Choreografielehrbuch las:
Wenn etwas nur wirbelt, werde ich durch Überforderung keine Veränderungen mehr wahrnehmen, das Ganze „steht“, mein Interesse wird verschwinden. Eine einzelne Bewegung verliert ihre Deutlichkeit; sie vermag keinen Reiz mehr auszuüben. […] Ab einer gewissen Geschwindigkeit aber lassen sich die Impulse nicht mehr voneinander trennen. Einzelne Bewegungen verschwimmen zu einem Feld.
Die Kunst des Genießens
In der Flut der Reize verschwinden die Details. Durch Pausen oder Ruhemomente kann ich meine Höhepunkte hervorheben. Die amerikanische Tänzerin Sandra sagte in einer der „Secrets of the Stage“-DVDs etwas, das ich leider nicht wörtlich notiert habe… in Sinne von: wenn du den perfekten Moment kreiert hast – ein genialer Akzent mit perfektem Timing, hergeleitet aus einer mitreißenden Interpretation der Musik und in einer perfekten Pose endend – dann verharre dort einen Moment, um dir und deinem Publikum die Zeit zu geben, nachzuschmecken, wie wunderbar dieser Höhepunkt war, bevor du in die weitere Reise durch deine Performance aufbrichst.
Nun habe ich leider noch nicht Khalidas Video vom November gefunden, dafür ein 4 Jahre altes, das schon in den ersten Sekunden wunderbar verdeutlicht, was ich meine:
Und mir fiel ein dieses Video hier wieder ein:
In dieser sehr fließenden, wirbelnden Version des Liedes schwimmt er mit und nimmt dann immer wieder Auszeiten mit kleinen Bewegungen und ausgedehnten WOW!-Momenten.
Du und dein Publikum
Da ich gerade zum ersten Mal seit langer Zeit auf seinem Kanal nachschaue, fand ich noch das hier und bin begeistert:
Das ist eine ganz, ganz andere Art, mit seinem Tanz oder seinem Publikum umzugehen. Er präsentiert seine Tricks. Einzeln. Sodass sie gut zur Geltung kommen. Dafür nimmt er sich Zeit – traut sich, Zeit zu nehmen statt sofort in die nächsten Akzente zu stürzen. Währenddessen schäkert mit seinem Publikum. Seine Intention wird deutlich: Ich habe Spaß am Tanz – für euch.
Es füllt mich mit Ehrerbietung vor seinem Können als Tänzer und Unterhalter – ein Großmeister mit Jahrzehnten an Erfahrung.
Vielleicht ist das der hässliche Knackpunkt: es braucht viel Erfahrung um zu fühlen, wie langsam oder ungefüllt eine Performance werden darf, bevor sie langweilig wird. Gleichzeitig braucht es neben der Gelassenheit noch eine starke Präsenz, die die Spannung aufrecht halten und die Stille emotional füllen kann, dass sie die Auszeiten trägt.
Nach diesem Kontrast zum in der letzten Zeit so häufig erlebten ist meine Frage an euch Tänzerinnen: Willst du dein mit einem Bombardement an WOW!!!s beeindrucken oder willst du sie einladen, einen Tanz mit dir zu genießen? Anders gesagt: ist dein Auftritt ein Dialog und wenn ja: welcher? Was sagst du?
Wir leben in einer stressigen, gehetzten Zeit in der immer mehr Menschen mit Überstunden und Mehrfachbelastungen kämpfen. Gerade wir Frauen, die den Großteil der hiesigen Bauchtanzshows stellen. Daher meine Frage als Zuschauerin:
Was willst du von uns?
Oder willst du etwas für uns?