Wie hieß das noch in dem össeligen Lateinbuch früher? „Nicht für die Schule, sondern fürs Leben lernen wir“.
Ich habe für euch heute ein praktisches Hintergrund-Thema, sowohl fürs Training als auch fürs Aussehen: wie viele andere Frauen habe ich „schlechtes Bindegewebe“ – Gene, Schilddrüse, Stress, ehemaliges Übergewicht. Sieht nicht schön aus. Aber ich habe Hoffnung!
Bevor wir ins Detail gehen, lasst mich euch ein Geheimnis verraten: manchmal (viel zu selten!) hüpfe ich im Badezimmer herum und lasse das Winkfleisch flattern – und habe dabei Spaß für zehn! Denn mental mache ich mir den Cheerleader und feuere meine Fibroblasten-Tierchen an. Oder übe Shimmy und beobachte die Schwungmasse beim Fliegen… mit diebischer Freude!
Natürlich aus komplett wissenschaftlich unterbauten Gründen.
Neugierig? Ab ins Detail!
Blasten bauen, Klasten klauen
Wie entsteht straffes Gewebe? Warum verschwinden die hart antrainierten Muskelpakete in Trainingspausen? Ihr habt es wohl schon gehört: Knochen werden stärker bei Belastung. Muskeln werden kräftiger durch Belastung. Das gleiche gilt fürs Bindegewebe – tada! – und bis ins junge Erwachsenenalter auch für Gelenksknorpel.
Wichtig für den Bau von stäkreren Strukturen sind die nach Gewebeart spezialisierten Blasten, also die Fibroblasten (Gewebe), Osteoblasten (Knochen), Chondroblasten (Knorpel)… Natürlich gibt es auch wieder abbauende Gegenspieler, die Klasten, die unnötig gewordene Muskelberge recyclen – warum denn die unnötige Masse mit sich herumschleppen, das ist doch totale Energieverschwendung!
Bleiben wir beim Bindegewebe,

„White fibres“ ist das Collageen, „elastic fibres“ das Elastin im guten alten Gray’s Anatomy.
genauer: bei den Fibroblasten. Das sind Gewebezellen, die es sich noch nicht irgendwo gemütlich gemacht haben (dann heißen sie „Fibrozyten“ = „Gewebezellen“), sondern noch auf Suche nach einem Arbeitsplatz sind. Sie sind Mädchen für alles: Sie stricken die Gewebefäden Collageen und Elastin (das Netzwerk des „Gewebes“), sie bauen Proteoglykane (die sorgen für das gelartige, Wasser enthaltende Zeug dazwischen), produzieren die Verbindungsmoleküle (die pappen bspw. die Fäden-Bestandteile aneinander), geben bei Verletzungen Botenstoffe ab, die dann die Aufräumtrupps vom Entzündungskommando herbeirufen und produzieren auch gleich ein Enzym, das kaputtes Collageen abbaut.
Dabei beschränken sich die -blasten nicht einmal auf einen einzigen Typ Collageen: Das meiste (90%) ist Typ 1 für Haut, Knochen, Sehnen, Faszien, Adern, Bänder; Typ 2 und 11 werden beispielsweise im Knorpel verbaut während Typ 12 Muskelzellen an Sehnen heftet. Vielseitige Tierchen, diese -Blasten, die halt auf ihre jeweilige Umgebung spezialisiert sind. Sprich: was ich hier fürs Bindegewebe erzähle gilt prinzipiell für alle Orte im Körper.
Woher wissen die denn, dass und was sie produzieren müssen?
Mit ihren Armen bilden die Fibroblasten ein Netzwerk und können Körperbewegungen als Druck oder Zug im Netz wahrnehmen. Wird am Zellgeflecht gezogen und gedrückt, überträgt sich die Bewegung in den Zellkern, wo die DNA aktiviert und ausgelesen wird, wodurch die Produktion von wasauchimmer gerade benötigt wird, angeleiert wird. Ist die Belastung zu groß, gibt es Risse im Gewebe – „Faszienkater“. Fehlt das Signal „Hallo, hier Belastung! Mach Masse!“, wird nichts gebaut.
Warum es wichtig ist, stetig zu bauen? Weil im Rahmen der tagtäglichen Instandhaltungsarbeiten eine Balance zwischen Aufbau und Abbau besteht: es geht immer mal was kaputt oder alt, daher sind die Bauarbeiter und die Entsorger stets zugange. Verändert sich die Menge der „Aufbau“-Signale bei gleichbleibenden „Abbau“-Tätigkeiten, verändert sich das Gewebe.Intensivieren wir unser tägliches Bewegungspensum oder Training, wird mehr Aufbau in Auftrag gegeben und das Gewebe wird stärker – der Muskel wächst, Knochen und Sehnen und alles andere werden ebenfalls stärker. Andersum passiert dasselbe. Wenn wir uns wochen und monatelang weniger bewegen – z. B. weil wir uns ein Bein gebrochen haben – kommen keine Aufbausignale mehr an und der fortlaufende Abbau läuft weiter: wenn dann der Gipsverband endlich herunter kommt, ist dort sichtbar Muskelmasse abgebaut. Dasselbe gilt parallel auch für die Stärke von Bändern, Sehnen und Knochen… Hallo erneute Verletzungsgefahr. Beginne ich aber mit einem Maß an Training, das für genügen Aufbau-Signale sorgt, das Gewebe aber nicht überlastet (die erwähnten Risse), werden die Blasten wieder produzieren, so viel sie können.
Im Bindegewebe stricken die Fibroblasten Collageen-Moleküle, die sich zu Fäden und schließlich Fasern anordnen. Zunächst sind das Testversionen: wird der Faden gebraucht (gibt es Druck- oder Zugbelastung?), wird die Struktur innerlich mit Crosslinks verstärkt; wird der Faden nicht gebraucht, entstehen keine Crosslinks und das unnütze Zeug wird schnell wieder abgebaut. Clever, oder?
Haut und Sehnen (die Dinger, die
Muskel und Knochen verbinden, also die Kräfte aus den Muskeln auf Knochen übertragen) bestehen in Trockenmasse zu 70% aus Collageen. Das ist ungemein stark, allerdings ist es wenig elastisch, wird also bei Überbelastung eher reißen. Ihre scheinbare Dehnbarkeit erhalten Sehnen dadurch, dass Collageen gewellt kreuz und quer liegt und bei Zug straff gezogen wird. Wirklich elastisch ist dagegen das Elastin, während die Proteoglykane wie wassergefüllte Stoßkissen (Hallo Hyaluron!) dazwischen liegen. Je nach Bedarf (Lage im Körper, Zugrichtung, Druckrichtung, Belastungsmenge) ist das Verhältnis Collageen zu Elastin anders, wie auch andere Collageentypen verbaut werden. Schaut mal hier (blau = Collageen, grün = Elastin), unten links eine Sehne, darüber Fettgewebe, oben rechts der Ring einer Bandscheibe.
Ratet mal, was beim Stretchen passiert? Es werden nicht nur Muskelzellen auseinander gezogen…
Zusatzfrage: Und wie wissen die Zellen, wohin gebaut werden muss?
„Die Proteoglykanzusammenstellung im Matrixgel bestimmt das Tempo, worin sich formendes Collageen niederschlägt und auch die Dicke der Fasern. Bei Belastung sorgen die negativ geladenen Proteoglykankomplexe dafür, dass die Fasern entlang relativ festern Routen verschieben und dass nach Entlastung formherstel auftritt. Elastine hilft hierbei.“ (Übersetzt aus Jan Jaap de Morree’s Dynamiek van het menselijke bindweefsel)
Sprich: Das Zeug zwischen den Fasern und seine Mixtur wirken als magnetische Rankhilfe für die sich wie Efeu windenden, wachsenden Fasern. Gleichzeitig sorgen Schwefelverbindungen für die gewünschte Dicke: wie viel Elastin bzw. Collageen darf sich auf dem frisch produzierten Faden anlagern, wie Wachs auf einem Docht?
Also: schönere Haut durch Bauchtanz?
Da wir jetzt wissen, dass Muskeln und Bindegewebe, wie auch Knochen, auf höhere Belastung mit Bautätigkeit reagieren, kann man vereinfachend sagen: ich geh mal mein Bindegewebe trainieren, damit es straffer wird. Daher meine Hüpf-und-Schüttel-Methode…
Allgemeiner gesagt: Bewegung/Sport kann strafferes Gewebe machen. Wie das Resultat aussieht, hängt stark davon ab, was genau du machst – dein Körper passt sich individuell an dein Belastungsmaß an. Stellt euch mal aus Sicht der Zellen vor, wie sich Säbeltanz auf Nacken und Armmuskeln auswirkt. Oder in den Beinen eine starke Faszination für Shaabi und Saidi im Gegensatz zu Gothic-Fusion.
Oder doch lieber Yoga?
Es gibt noch eine Reihe anderer Faktoren, die sich auf Gewebebauarbeiten auswirken: Gene, Hormone… und Stress, der weit verbreitete.
Bei Stress wird das Stresshormon Cortisol ausgeschüttet. Da unser Körper dank unserer langen Evolutions auf Effizienz getrimmt ist, sorgt er in Stresssituationen dafür, dass unser Körper auf „Action!“ schaltet: alles steht auf Kampf oder Flucht, alle derzeit nicht nötigen Prozesse werden heruntergefahren. Davon ist auch der Gewebeaufbau betroffen, der erstmal hintan gestellt wird.
Handelt es sich bei der Notsituation um einen akuten Fall (Säbelzahntiger), ist das gut und praktisch. Handelt es sich aber um die in der heutigen Zeit weit verbreitete Kombination aus Stress bei der Arbeit (Arbeitsbelastung/Chef/Kollegen) oder im Beziehungsleben (Partner/Familie/Pflichten) und fehlende Bewegung als Ventil, geht es schief. Beispielsweise sorgt Cortisol dafür, dass die Proteinteile, aus denen die Fibroblasten ihre Produkte fertigen, in der Leber zu Zuckern umgewandelt werden, damit schnelle Energie für Kampf oder Flucht bereit stehen. Sprich: den Blasten wird das Baumaterial geklaut… parallel wird auch noch der Produktionsprozess auf Sparflamme geschaltet… Oh je! Als Folge wird das Gewebe schwacher und schlaffer, ist weniger reißfest, wird immer weniger repariert.
In der Ruhe liegt die Kraft
Daher: Stressabbau durch Entspannung – von stiller Meditation bis ruhigem Bewegen – oder auch alles wegschwitzendes Auspowern – kann ebenfalls zu schöner Haut beitragen.
Nach dem Ende des Stresses, der Arbeit, des Trainings braucht so ein Körper erstmal eine Ruhefase:
„Lange tropotrofe [=Ruhe-]Phasen helfen, dass gute Ernährung vollständig verdaut und aufgenommen werden kann. Wachstumshormon stimuliert die Aufnahme von Aminosäuren in den Zellen, sodass die Herstellung von Collageen und Matrix durch die Fibroblasten wieder zunimmt und Genesung auftritt. Ab dieser Situation kann Training wieder effektiv aufgebaumt werden“ (wieder de Morree)
Sprich: Erholung macht Training erst wirkungsvoll. Gebt den Blasten Zeit, das schöne neue Gewebe zu bauen! Gibt es keine Pausen, droht Übertraining…
Und wann ist die schöne neue Haut dann fertig?
Wenn ihr nicht nur „das ist abhängig von vielen Faktoren, zum Beispiel Grad und Regelmäßigkeit der Belastung, Ausgangssituation etcetera“ hören wollt, ich habe da ein paar Zahlen gefunden, die schonmal eine Ahnung davon vermitteln können, in welchen Zeiträumen man denken kann: Bei normaler Instandhaltungstätigkeit ist das Bindegewebe der gesamten Haut zur Hälfte innerhalb von 14 Jahren erneuert. In Sehnen dauert ein kompletter Routine-Austauschvorgang 300-500 Tage, in Knochen 10 Jahre und in Knorpel 100-200 Jahre – so über den Daumen gepeilt und verallgemeinert. Wenn nicht überwiegend abgebaut wird… Stichwort Verschleiß.
Reparaturen gehen schneller: Bänderrisse, oder so ein Meniscusriss oder eine gerissene Bandscheibe sind bei gutem Verhalten innerhalb einem Vierteljahr wieder fit, wenn auch nicht mehr so belastbar wie vorher.
Also: gut Ding will gut Weil’…